Kalender
Die Wohnung

Der israelische Filmemacher und Hochschuldozent Arnon Goldfinger wusste zwar, dass seine 1935 aus Deutschland emigrierten Großeltern die alte Heimat zeitlebens im Herzen trugen. Wenn er als Kind ihre Wohnung in Tel Aviv mit den vielen Büchern deutscher Schriftsteller betrat, fühlte er sich nach Berlin versetzt. Aber erst nach dem Tod der 98-jährigen Großmutter, die nie hebräisch gelernt hatte, gibt die verwaiste Wohnung ihr größtes Geheimnis preis
Deutschland, Israel Dokumentarfilm 2011 97 Min.
Nach dem Tod der Großmutter findet sich die große Familie zur Wohnungsauflösung ein, inspiziert staunend und belustigt alte Pelzkrägen, wirft das weitgehend unverkäufliche Inventar in Müllsäcken aus dem Fenster. Aber als Arnon Goldfinger im Schrank eine Ausgabe der Nazi-Zeitung „Der Angriff“ findet, ahnt er, wie wenig er über seine Großeltern weiß. Und nicht nur ihm geht es so, wie seine Befragung der Familienmitglieder ergibt, die er mit ironischem Off-Kommentar oder auch mal einem witzig platzierten Ruf der Kuckucksuhr orchestriert. Wie ein Detektiv kramt der Enkel nach den Puzzleteilen, die zutage fördern, dass Kurt Tuchler, deutscher Patriot, Verkehrsrichter und Zionist, im Jahr 1933 mit dem SS-Mann und späteren Leiter des Judenreferats, Leopold von Mildenstein, und den beiden Ehefrauen nach Palästina gefahren war. Die deutschen Zeitungen berichteten über diese Reise. Sowohl die Zionisten, als auch die Nazis wollten damals die Emigration der deutschen Juden nach Palästina fördern.
Die beiden Ehepaare wurden Freunde, die in Berlin häufig gemeinsam in Theater und Restaurants gingen, bis die Tuchlers emigrierten. Man blieb auch danach noch, bis zum Ausbruch des Krieges, in brieflichem Kontakt. Gerda Tuchler konnte ihre Mutter nicht dazu bewegen, Berlin zu verlassen. Sie wurde schließlich im Konzentrationslager Theresienstadt umgebracht. Davon hatte die Großmutter den Kindern und Enkeln in Tel Aviv nie etwas erzählt. Goldfinger erfährt es erst von der in Wuppertal lebenden Tochter von Mildensteins. Zu seiner großen Überraschung kannte sie seine Großeltern persönlich: Sie waren nämlich nach dem Krieg regelmäßig nach Deutschland gefahren und hatten ihre alten Freunde besucht.
Am Friedhof in Berlin sieht man Goldfinger und seine Mutter im strömenden Regen nach verdeckten Grabsteinen suchen. Sie schieben mit den Händen Blätter und Gras beiseite, aber wo das Grab des Urgroßvaters stehen müsste, finden sie nichts mehr. Die Szene ist ein Höhepunkt an Authentizität in dieser spannenden, sehr persönlichen und gerade dadurch so berührenden Spurensuche. Sie zeigt nicht nur, dass Geschichte zuallererst einzelne Menschen betrifft, sondern auch, dass sich gerade deswegen Barrieren des Verstehens zwischen den Generationen auftun.
Ein wichtiger filmischer Beitrag zur deutsch-jüdischen Vergangenheitsbewältigung.
Veranstaltungsort
0 Kommentare
Highlight
Zur Zeit gibt es kein Highlight.
Möchtest Du Deine Veranstaltung zum Highlight machen?
Hier erfährst Du wie das geht!